Wie Kaffee zum Treibstoff politischer Dialoge wird

Das Altiero-Spinelli-Gebäude des Europäischen Parlaments
Das Altiero-Spinelli-Gebäude des Europäischen Parlaments

Rückblick zur Fraktionsreise nach Brüssel

Nach monatelanger Vorbereitung wurde es endlich Realität: Die Grüne Fraktion im Brandenburger Landtag begab sich auf eine Entdeckungsreise in die europäische Hauptstadt Brüssel. Dabei bot sich uns die perfekte Gelegenheit, die neue Nachtzugverbindung (European Sleeper) von Berlin über Amsterdam nach Brüssel zu testen. Und das Fazit vorweg: Alles hat reibungslos funktioniert – wir kamen pünktlich an und erlebten spannende Tage im Herzen Europas.

Die Delegation unserer Landtagsfraktion während der Reise nach Brüssel.

Tag 1:

Nach einem kurzen Zwischenstopp im Hotel wurden wir vom Botschafter Michael Clauß in der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU herzlich empfangen. Für uns als Landtagsfraktion war es eine Ehre, aus erster Hand vom höchsten Repräsentanten Deutschlands bei der EU über aktuelle Verhandlungen informiert zu werden. Auf Regierungsebene finden derzeit Gespräche über Finanzen (MFR Mid Term Review), die Zukunft des European Green Deals und das Thema Migration statt. Insbesondere bei Letzterem wurde deutlich, dass plakativ angekündigte Maßnahmen noch nicht in der Umsetzung sind und deren beabsichtigte Wirkungen in Frage stehen.

Beim anschließenden Treffen in der Vertretung des Landes Brandenburg in Brüssel erklärte der Leiter, Dr. Marcus Wenig, die Organisation und Aufgaben unserer Landesvertretung. Fast alle Landesministerien sind in Brüssel mit eigenem Personal vor Ort, was auch erforderlich ist, um rechtzeitig auf Gesetzesvorhaben der EU Einfluss nehmen zu können. Dr. Elena Mönning beobachtet beispielsweise im Auftrag des Landtags das politische Geschehen in der EU und berichtet uns im Europaausschuss regelmäßig über aktuelle Entwicklungen. Meiner Ansicht nach wäre eine Aufstockung des Personals in der Vertretung und eine Verlängerung der Entsendungen nach Brüssel wünschenswert. Schließlich hängt Netzwerkarbeit an persönlichen Kontakten, die sich erst über einen gewissen Zeitraum aufbauen.

Am Europäischen Parlament in Brüssel.

Am Nachmittag führten wir ein Gespräch mit unserer Europa-Abgeordneten (MdEP) Jutta Paulus, die gerade für uns Bündnisgrüne das sogenannte Renaturierungsgesetz verhandelt. Im Gegensatz zu Land- und Bundestag gibt es im Europäischen Parlament keine fest gefügten Koalitionen, sondern verschiedene Fraktionen und viele fraktionslose Abgeordnete. Daher sind die Verhandlungen sehr viel offener als wir es kennen. „Wir werden viel Kaffee trinken müssen“ heißt es dann hier. Das bedeutet, dass viele Einzelgespräche zwischen Abgeordneten anstehen, um einen Kompromiss (und damit eine Position des Parlaments) zu finden. Diese Position wird dann im sogenannten ‚Trilog‘ gleichberechtigt den Positionen des Rates (aus den nationalen Regierungen) und der Europäischen Kommission gegenübergestellt.

Gespräch mit Jutta Paulus in der Ständigen Vertretung des Landes Brandenburg in Brüssel.

Am Abend des vollgepackten ersten Tages fand im Europäischen Parlament noch ein Empfang für europäische NGOs statt. Es war sehr interessant, sich mit diesen „Lobbyisten für gesellschaftliche Anliegen“ auszutauschen – von europäischen Fahrradinitiativen bis zur Climate Alliance, die unter anderem europaweit Beratungen von Kommunen zum Thema der Energiearmut anbietet. Leider beteiligen sich aus Deutschland noch keine Städte und Gemeinden, aber wir werden weiterhin dafür werben. Unser Dank gilt nicht nur unseren MdEPs aus der Region, Ska Keller und Sergey Lagodinsky, für die Unterstützung, sondern auch den MdEPs Jutta Paulus und Malte Gallée für ihre Teilnahme.

Beim Empfang mit den EU-Abgeordneten Ska Keller und Sergey Lagodinsky.

Tag 2:

Nach einer Besichtigung des Europäischen Parlaments am Folgetag trafen wir uns zusammen mit unserem MdEP Niklas Nienaß mit Eddy Liegeois von der EU-Kommission, dem Abteilungsleiter für den Landverkehr. Er ist für die Definition der Transeuropäischen Netze zuständig. Wir Bündnisgrünen setzen uns dafür ein, dass die Ostbahn von Berlin über Küstrin nach Polen in dieses Netz aufgenommen und entsprechend ausgebaut wird. Herr Liegeois versicherte uns, dass die Kommission unser Anliegen nach Kräften unterstützt. Unverständnis äußerte er hingegen für die Blockade von Bundesverkehrsminister Wissing, an der die Aufnahme bislang scheitert. Brandenburg und Brüssel sind dafür, Wissing blockiert. Der Zeitplan wird inzwischen eng, aber Brandenburg und die Kommission bleiben dran.

Ein für mich persönlich besonders wichtiger Termin war mein Gespräch mit Nathalie Pauwels und dem Team der Generaldirektion Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen über unsere Unterstützung für die Ukraine sowie deren Perspektive für einen EU-Beitritt. Frau Pauwels erläuterte mir die Ausgestaltung der geplanten „Ukraine Facility“, die wiederum von der Fortschreibung des EU-Haushalts abhängt. Die Ukraine hat in den vergangenen Monaten trotz Kriegszustands massive Fortschritte bei der Umsetzung der europäischen Grundrechte erreicht, die allerhöchsten Respekt verdienen. Die Kommission prüft dies akribisch, einen Rabatt aufgrund der geopolitischen Situation gibt es nicht. Das könne sich die Kommission angesichts der anderen Beitrittskandidaten gar nicht leisten, so Pauwels. Die EU-Kommission hat sich inzwischen öffentlich für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine ausgesprochen.

Beim Treffen mit Nathalie Pauwels und ihrem Team.

Ein weiteres Thema war eine mögliche Regionalpartnerschaft, die Brandenburg mit einer Region in der Ukraine eingehen könnte. Nordrhein-Westfalen macht das bereits erfolgreich vor, und die Kommission begrüßt derartige Aktivitäten, die dazu dienen, die Ukraine schneller an die EU heranzuführen. Ferner können dadurch Wirtschaftsbeziehungen begründet werden, die sich später auch für Brandenburger Unternehmen auszahlen.

Mein Fazit:

Zwei Tage waren viel zu wenig, um auch nur ansatzweise den Brüsseler Politikbetrieb kennenzulernen. Bemerkenswert ist, dass das Parlament auf europäischer Ebene inzwischen eine recht starke Stellung hat, auch wenn das in der deutschen Öffentlichkeit so nicht wahrgenommen wird. Kein europäisches Gesetz tritt ohne die Zustimmung des Parlaments in Kraft. Die Verhandlungen innerhalb des Europäischen Parlaments sind außerdem viel kooperativer als in nationalen Parlamenten. Man muss halt viel Kaffee trinken. Aber der Besuch hat definitiv Lust auf mehr gemacht …