„Die schlimmste Zeit für LGBTQ seit 1989“: Solidarität zeigen beim Rainbow Walk durch Slubice und Frankfurt

Heiner Klemp gemeinsam mit Sahra Damus, Tomasz Anisko und Aktivist*innen aus Deutschland und Polen auf der Brücke, die Frankfurt/Oder und Slubice verbindet.

Slubice. Warschau, vor wenigen Tagen: Polen gedenkt des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943. Mittendrin: Neonazis, die eine Regenbogenfahne anzünden, unter den Augen der Polizei, die nicht einschreitet. „Ein guter Bürger erhebt sich gegen die Unterdrückung durch die LGBT-Ideologie“, gibt Tomasz Anisko Worte wieder, die von Vertretern der in Polen regierenden PiS-Partei stammen.

Anisko ist einer von drei Grünen im polnischen Parlament Sejm und außer sich über den Hass, der in seinem Land auf sexuelle Minderheiten geschürt wird. In dieser Woche erhielt er Besuch von den bündnisgrünen Landtagsabgeordneten Heiner Klemp aus Oranienburg und Sahra Damus aus Frankfurt/Oder. Das Treffen war Teil von Klemps Sommertour „Von Brandenburg nach Europa“.

Das Thema Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Queer* (LGBTQ) stand von Anfang an auf der Agenda. „Wir können nicht nach Polen reisen und dieses Thema aussparen“, sagt Klemp, Sprecher für Europapolitik der grünen Fraktion im Landtag. Damus, unter anderem Sprecherin für LGBTQ, ergänzt: „Es geht darum, Solidarität zu zeigen.“

Der Vorfall in Warschau stehe beispielhaft für wachsenden Hass gegen LGBTQ in Polen. Wojewodschaften und Landkreise erklären sich seit 2019 zu Dutzenden zu „LGBT-ideologiefreien Zonen“, auf Karten im Internet sind diese rot eingefärbt. Der gesamte Südosten Polens ist ein großer roter Fleck, mittendrin: Oberhavels Partnerkreis Biala Podlaska und Hohen Neuendorfs Partnerstadt Janów Podlaski. Sie liegen in der Wojewodschaft Lublin, die sich zur LGBT-freien Zone erklärt hat, Biala Podlaskas gleichnamige Kreisstadt hat diese Haltung mit einer eigenen Erklärung noch mal bekräftigt.

Was es bedeutet, als junger nicht heterosexueller Mensch in solch einer „LGBT-ideologiefreien Zone“ zu leben, erfährt Heiner Klemp bei seinem Polen-Besuch aus erster Hand. In Slubice trifft er sich mit Aktivistinnen und Aktivisten der Organisation „Instytut Rownosci“ (deutsch: Gleichstellungsinstitut), die sich gegen die Diskriminierung von LGBTQ einsetzen.

Einer von ihnen ist Kacper Kubiak. „Es ist die schlimmste Zeit für LGBTQ in Polen seit 1989“, sagt er. „Wir werden bedroht, beschimpft, geschlagen, am helllichten Tag, auf offener Straße.“ Zur Polizei gehen bringe nichts: „Stellt Euch vor, ihr spielt Fußball, werdet brutal gefoult und der Schiedsrichter lässt das Spiel weiterlaufen, weil er sein Gehalt vom gegnerischen Team bekommt. So ungefähr geht es uns.“ Die in Polen regierende PiS-Partei befeuere mit ihrer aggressiven Rhetorik die Gewalt – nicht nur gegen Symbole wie die Regenbogenfahne, sondern auch gegen Menschen. „Präsident Duda sagt, wir sind gar keine Menschen, sondern nur eine Ideologie. Das setzt die Hemmschwelle bei den Leuten auf der Straße herab, uns anzugreifen.“

Das erleben die brandenburgischen Landtagsabgeordneten bei ihrem Besuch im eigentlich als liberal geltenden Slubice hautnah: Ein „Rainbow Walk“ durch die Stadt und über die Grenze nach Frankfurt/Oder steht auf dem Programm. Für ein Foto stehen Klemp und Damus gemeinsam mit einem Grüppchen Polen an einem Springbrunnen, alle tragen Regenbogenflaggen. Im Vorbeifahren spuckt ein Radfahrer Jolanta Mierkewicz, eine von Kubiaks Mitstreiterinnen, an.

Solche Dinge passieren ihnen jeden Tag, sagt Mierkewicz. Der Spaziergang mit Regenbogenfahnen durch die Stadt geht zwar ohne weitere Zwischenfälle vonstatten. Die Angst läuft allerdings bei der 21-jährigen Anna (Name geändert) mit. Sie fühlt sich beobachtet. Anna wird bald einen Job als Lehrerin an einer Musikschule antreten. „Wenn die Eltern der Kinder mitbekommen, dass ich lesbisch bin, kann es sein, dass sie mich fertigmachen und ich die Arbeit gleich wieder los bin“, sagt die junge Frau.

Das Fundament für den Hass seien die Lügen, die die Vertreter der PiS-Partei verbreiten, meint Kacper Kubiak. „Sie haben uns im Präsidentschaftswahlkampf benutzt, um die Stimmen der Rechtsextremen zu bekommen. Das hat auch funktioniert“, meint der 37-Jährige. Welche Lügen? „LGBTQ sind Kinderschänder, die Kirchen anzünden und Hundebabies kidnappen“, sagt Kubiak, resigniert lächelnd. „Das ist so plump und absurd, dass es im ersten Moment lustig klingt“, berichtet Heiner Klemp. „Aber die Menschen, die diesem Hass und dieser Verachtung täglich ausgesetzt sind, leben in einem Klima der Angst, trauen sich mitunter nicht nach draußen“, gibt der Landtagsabgeordnete wieder, was ihm in Slubice erzählt wurde. „Es ist unfassbar und unerträglich.“

Internationale Unterstützung sei enorm wichtig, betonen Tomasz Anisko und Kacper Kubiak. Die EU dürfe nicht tolerieren, was in ihrem Heimatland geschieht. Einen Hebel, um etwas zu bewegen, sehen sie zudem in Städte- und Kreispartnerschaften.

„In den LGBT-freien Zonen Polens werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Wir müssen herausfinden, wie sich Oberhavels Partnerkreis Biala Podlaska dazu positioniert. Da Wojewodschaft und Kreisstadt bereits solche Erklärungen abgegeben haben, ist es umso wichtiger, dass Oberhavel aktiv eine klare Positionierung von seinen Partnern einfordert“, sagt Heiner Klemp. Die Partnerschaft ruhen zu lassen oder gar aufzukündigen, sei nur ein letzter möglicher Schritt. „Sinnvoller erscheint es mir, Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort aufzunehmen, die für die Gleichberechtigung kämpfen. Davon gibt es erfreulich viele in Polen – sie zu stärken, ist unsere Aufgabe.“