Einsetzen statt Aussetzen – dafür steht die Abkürzung ESTAruppin. Der diakonische Trägerverein hat seit mehr als 20 Jahren unzählige Projekte und Initiativen gestartet, die sich dem globalen Nachhaltigkeitsziel 10 – „Weniger Ungleichheiten“ – zuordnen lassen. Einen Einblick in ihre Arbeit gewährten mir Geschäftsführerin Carola Wöhlke und ihre Kolleginnen bei meinem Besuch im Haus der Vielfalt am Donnerstag.
Marion Duppel etwa ist Eine-Welt-Promotorin und setzt sich als solche unter anderem für fairen Handel ein. Dass Neuruppin seit gut drei Jahren Fair-Trade-Stadt ist, geht auch auf ihr Engagement zurück. ESTAruppin trägt zudem zwei Weltläden in Neuruppin und Wittstock. „Wir gehen kleine Schritte, um dem Namen Fair-Trade-Stadt gerecht zu werden“, sagt Marion Duppel. So hat sie bei der Stadt eine Fortbildung zum Thema faire Beschaffung angeregt und unter anderem dafür gesorgt, dass in Neuruppin fair produzierte und gehandelte Bälle angeschafft werden. ESTAruppin selbst hat eine „Leitlinie für nachhaltiges und ressourcenschonendes Wirtschaften“ erarbeitet, die die Künstlerin Katrin Mason Brown in Collagen für eine Kunstausstellung visualisiert hat. Und nicht zuletzt versorgt der Verein die Schulen in der Stadt mit Informationen und Unterrichtsmaterialien zu nachhaltigem und fairem Handel.
Während bei der Eine-Welt-Promotorin die Ungleichheiten auf globaler Ebene im Fokus sind, setzt das Projekt „Gauklerkids“ vor Ort und früh im Leben an. Thalia Freesemann formuliert es so: „Im Zirkus sind alle gleich.“ Egal, ob mit Migrationshintergrund, aus armen oder wohlhabenden Verhältnissen, auf dem Dorf oder in der Stadt: „Die Kinder nehmen die Unterschiede gar nicht wahr. Zu uns kommen alle Kinder, weil alle Spaß haben“. Spaß an Jonglage und Tanz, an Einradfahren und Artistik und ganz allgemein an Bewegung. An neun Standorten in Neuruppin und im ganzen Landkreis Ostprignitz-Ruppin bietet „ESTAruppin“ mindestens einmal pro Woche Zirkustraining an, zu Corona-Zeiten auch virtuell. Alle Kinder haben unabhängig von ihrer Herkunft gemeinsam Spaß – klingt perfekt, birgt aber auch Herausforderungen. Denn am Ende sind genau die Ungleichheiten, die die „Gauklerkids“ abbauen wollen, Voraussetzung dafür, dass das Projekt am Leben bleibt. „Wir müssen immer wieder nachweisen, dass wir benachteiligten Kindern helfen, um weiter gefördert zu werden“, sagt Freesemann.
Dieser Nachweis der Bedürftigkeit bei Fördermittelgebern gehört bei vielen Projekten dazu. Carola Wöhlke sieht das kritisch, denn Bedürftigkeit sei eben auch ein Stigma, das zu Diskriminierung und schlimmstenfalls zur Verschärfung von Ungleichheiten führen könne. Und: „Immer von einem Defizit auszugehen, das behoben werden muss, ist problematisch.“ Wichtiger sei die Prävention, gerade in der sozialen Arbeit und der Jugendhilfe.
Das bestätigt Nadine Gers vom Netzwerk gesunde Kinder, das Pat*innen an Familien mit Kindern von null bis drei Jahren vermittelt. „Wir müssen kämpfen, um zu zeigen: Wir sind für alle da.“ Gerade auf dem Land hätten Familien oft Hemmungen, solche Patenschaften anzunehmen und damit vermeintlich fremden Personen Einblick in ihr Leben zu gewähren. Der Grund sei auch hier die Angst vor Stigmatisierung. Mit niedrigschwelligen Angeboten wie einem Schwangerenfrühstück oder Babymassage bemüht sich das Netzwerk, diese Ängste abzubauen. Dabei komme es auch auf die Wortwahl an: Statt Hilfe und Unterstützung sind es vielmehr Begleitung und Austausch, die im Mittelpunkt stehen. Spätgebärende treffen im Haus der Vielfalt auf Teenie-Mütter, lernen voneinander, respektieren und wertschätzen sich.
Niedrigschwellige Angebote macht auch Maja Rose im Projekt „Südstadt engagiert“: Hier werden Arbeitssuchende beraten, können Neues ausprobieren, an Computer-, Näh- und Gartenbaukursen teilnehmen. Der Projektraum öffnete im vergangenen Jahr kurz vor der ersten Welle. Das erwies sich wider Erwarten nicht als Hemmschuh, im Gegenteil: Unter strengsten Hygieneauflagen starteten Rose und ihr Team mit Eins-zu-Eins-Beratungen. „Das war super effizient.“
Die unterschiedlichen Projekte von ESTAruppin greifen alle ineinander: Beim Schwangerenfrühstück kommt fair gehandelter Kaffee auf den Tisch und auch die Gauklerkids tragen fair gehandelte T-Shirts. Ihre Zirkusmasken wiederum werden in der Südstadt genäht. „Wir machen was für die Leute und fürs Quartier“, sagt Maja Rose.
Zum Quartier gehört auch der Bauspielplatz, ein wahres Paradies für Kinder, das ich zum Abschluss meines Besuchs bei ESTAruppin besuchen durfte. Zur Ruhe kommen oder wild toben, basteln, reparieren, ernten oder gar Hütten bauen: Das alles und noch viel mehr geht hier. Völlig zwanglos wird ganz nebenbei noch politische Bildung und Umweltbildung betrieben: Die UN-Kinderrechte finden sich als bunte Plakate ebenso auf dem Bauspielplatz wie spielerische Installationen zu den Umweltauswirkungen von Kunststoff-, Papier- oder Baumwollbeuteln.
Das alles ist nur ein Bruchteil der unglaublich vielfältigen Arbeit, die ESTAruppin weit über die Stadtgrenzen Neuruppins hinaus mit haupt- und ehrenamtlichen Kräften leistet. Ein starker, wichtiger Verein, der den Kampf gegen Ungleichheiten schon im Namen trägt und diesem auch absolut gerecht wird!