Vom ausgelaugten Sandboden zum artenreichen Waldgarten

Ziemlich viel "Unkraut", eine Reihe Erdbeeren in Nachbarschaft von Haselnüssen und Ölweiden: Hier entsteht ein Waldgartensystem.
Ziemlich viel "Unkraut", eine Reihe Erdbeeren in Nachbarschaft von Haselnüssen und Ölweiden: Hier entsteht ein Waldgartensystem.

Dass Wälder unverzichtbar sind für das Binden von Treibhausgasen, ist eine Binsenweisheit. Ein natürlicher Wald gilt als das stabilste und nachhaltigste Ökosystem in unserem Klima. Doch was hat das mit Nachhaltigkeitsziel 2 – Kein Hunger – zu tun? Wälder machen schließlich niemanden satt, oder?

Doch, sagt Dr. Stephan Lehmann vom Verein STATTwerke e. V. aus Neuruppin. Genauer gesagt: Waldgartensysteme. In einem vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Forschungsprojekt will Stattwerke e. V. genau das beweisen. Auf fünf Flächen rund um Kyritz entstehen derzeit unterschiedliche Waldgartensysteme, die Lehmann und sein Team bewirtschaften. Vor Ort auf einem dieser Äcker haben Lehmann und seine Kollegin Selina Tenzer mir am Donnerstag das Projekt vorgestellt.

Auf den ersten Blick erscheint die Fläche schlicht unkrautüberwuchert: Brusthoch steht das sogenannte Berufkraut, von Landwirtschaft scheint nur auf einem angrenzenden Feld in Reih und Glied stehende Mais zu zeugen. Der zweite Blick allerdings legt den Anblick frei auf diverse junge Bäume, Sträucher und Kräuter: Hier eine Reihe Erdbeerpflanzen, daneben Ölweiden, woanders Haselnussbüsche, Spargel und Esskastanien. Ein System ist für den Laien nicht erkennbar, aber es ist da: 3.500 Gehölze haben Lehmann und sein Team seit dem vergangenen Jahr auf den fünf genannten Flächen gesetzt, dazwischen Obst- und Gemüsepflanzen und Kräuter in ebenfalls rauen Mengen. Mehr als 250 Kulturen sind es insgesamt, die auf elf Hektar Land heranwachsen.

Das vermeintliche Unkraut stört dabei nicht, im Gegenteil: „Wir freuen uns, dass es so wächst!“, sagt Dr. Lehmann. Denn es wirft wertvollen Schatten und lockt Insekten an: „Bereits jetzt im ersten Jahr beobachten wir zum Beispiel Laufkäferarten, die es hier vorher nicht gab.“ Vorher wuchs auf der Fläche, genau, wie auf dem Acker nebenan, Mais – oder auch mal Roggen. In jedem Fall eine konventionell bewirtschaftete, artenarme Monokultur – Standard auf unseren Feldern.

Das Ergebnis und damit die Arbeitsgrundlage für das Forschungsprojekt: trockener, verdichteter, ausgelaugter Sandboden ohne Humus, ohne Kapazitäten zum Speichern von Wasser. Ziel von Stattwerke e. V. ist es, hier Landwirtschaft zu betreiben, die Strukturvielfalt und Lebensräume für Insekten schafft, den Boden regeneriert, Humus aufbaut und auch noch klimaresistent ist. Dafür wird die Struktur von Waldrändern nachempfunden, denn Waldrandzonen gelten in unserem Klima als Biotope mit der höchsten Produktivität. Ohne Pestizide und fast ohne Düngung sollen die Waldgartensysteme auskommen – und Hitzewellen und Starkregenereignisse, die der Klimawandel mit sich bringt, deutlich besser verkraften als konventionell bewirtschaftete Flächen.

Selina Tenzer erklärt kurz und knapp, worum es beim Projekt Waldgartensysteme geht.

Klingt zu gut, um wahr zu sein – wie begegnen Lehmann und Tenzer dem Argument der Agrarindustrie, dass intensive, industrielle Landwirtschaft unter Einsatz von Pestiziden eine schlichte Notwendigkeit sei, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren? „Kleinbäuerliche Anbauweisen ernähren weltweit den Großteil der Menschheit“, sagt Selina Tenzer, und: „In einem Waldgartensystem ist der Ertrag an Kalorien und Nährstoffen pro Hektar größer als in jeder Monokultur.“

Dafür werden deutlich mehr Arbeitskräfte für die Bewirtschaftung der Fläche und die Ernte gebraucht, die natürlich nicht mit großen Maschinen erfolgen kann. Eine von vielen Herausforderungen, denen sich Lehmann und sein Team stellen. Nach fünf Jahren läuft die Förderung für das Projekt aus. Bis dahin müssen die Waldgärten genug Erträge abwerfen, dass Erntehelfer*innen davon bezahlt werden und auch Lehmann und sein Team davon leben können. Was sagt der Projektleiter zu dem Erfolgsdruck? Nicht viel – außer, mehr als einmal: „Es wird funktionieren.“

Website des Projekts Waldgartensysteme