Schluss mit der Versiegelung: Wie in Viimsi Klimawandel-Resilienz erprobt wird

Alar Mik macht der Regen nichts aus, im Gegenteil: Schließlich geht es bei der Parkplatzgestaltung darum, Regenwasser kontrolliert versickern statt es unkontrolliert abfließen zu lassen.
Alar Mik macht der Regen nichts aus, im Gegenteil: Schließlich geht es bei der Parkplatzgestaltung darum, Regenwasser kontrolliert versickern statt es unkontrolliert abfließen zu lassen.

Ein verregneter Tag im Norden von Estland, der Himmel ist grau, die Tropfen prasseln auf den Regenschirm. Es gibt vermutlich schönere Orte, an denen man bei diesem Wetter seine Zeit verbringen kann als ausgerechnet einen knapp 3.500 Quadratmeter großen Parkplatz.

Doch eigentlich ist es genau das richtige Wetter am richtigen Ort. Alar Mik ist in seinem Element, was man nicht nur daran erkennt, dass er seinen Schirm eingeklappt zum Gestikulieren nutzt statt ihn aufzuspannen. Er ist Beigeordneter der Stadt Viiimsi und als solcher für Umwelt und Bauen zuständig, und der Regen kommt ihm gerade recht, um dem Besucher aus Deutschland den Sinn des „Urban Storm Project“ zu erläutern: Zwei Testareale für dieses Projekt gibt es in Estland, beide befinden sich hier in Viimsi, und auf einem stehen wir – dem Parkplatz im Ortsteil Haabneeme.

Alar deutet auf den Boden: rechts der normale Asphalt, links der offenporige, rechts Pfützen vom Regenwasser, links nichts dergleichen. Tatsächlich offenbart der zweite Blick über den großflächigen Parkplatz eine Vielzahl unterschiedlicher Oberflächen – und auf den meisten ist trotz des starken Schauers kein stehendes Wasser zu sehen.

Genau darum geht es beim Urban Storm Project: Ziel ist es, estnische Städte widerstandsfähiger zu gestalten gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels, konkret: Überflutungen durch Starkregenereignisse zu vermeiden und Regenwasser kontrolliert versickern zu lassen beziehungsweise dem Entwässerungssystem und am Ende auch dem Grundwasser zuzuleiten. „Sustainable urban drainage systems“, zu Deutsch etwa nachhaltige städtische Entwässerungssysteme, werden hier erprobt, mit verschiedenen Schichten, durch die das Wasser geleitet wird, in voneinander getrennten Bereichen, so dass genau analysiert werden kann, welches System bei welchen Regenmengen am besten funktioniert. Außerdem kann das Wasser in unterschiedlichen Geschwindigkeiten versickern oder ablaufen, so dass die Belastung für das Entwässerungsnetz zeitlich gestreckt wird.

Das Interesse daran ist groß: In etwa 30 Gemeinden hat Alar Mik das mit EU-Geldern geförderte Pilotprojekt bereits vorgestellt, es soll beispielgebend sein für an den Klimawandel angepasstes Bauen in Estlands Städten und Gemeinden. Relevant ist das Urban Storm Project allerdings mit Sicherheit auch über die Grenzen Estlands hinaus – denken wir etwa an den Starkregen im Juni 2017 im Kreis Oberhavel mit fatalen Folgen für Oranienburg und katastrophalen Auswirkungen für Leegebruch.

Ausführliche Informationen zum Urban Storm Project (Englisch)

Gleichwohl ist der Parkplatz nur ein Teil der ganzheitlichen Entwicklung der breiten Straße Randveere Tee, durch die viel Verkehr nach Viimsi hinein beziehungsweise aus dem Ort herausfließt. Alar Mik zückt sein Smartphone und augmented reality kommt zum Einsatz: Der Blick auf die Straße über das Display des Telefons zeigt, wie diese künftig aussehen soll: Die mit Asphalt versiegelte Fläche wird an vielen Stellen durchbrochen von begrünten Flächen, den Autos wird Platz genommen, für Fußgänger sichere Querungsmöglichkeiten geschaffen. Um diese Vision einer Hauptverkehrsstraße, die allen Verkehrsteilnehmer*innen gerecht wird, Realität werden zu lassen, hat die Stadt Viimsi die Straße dem Staat abgekauft.

Erste Umgestaltungen sind bereits erfolgt: Im Buswartebereich vor der Schule sind verschiedene Spiele auf den Boden gezeichnet, die die Kinder zur spaßigen Bewegung während des Wartens animieren, ein Stück die Straße runter wachsen auf einer großen Fläche jede Menge Blumen und an einer Fußgängerampel leuchten auch die Steine auf der Straße grün, wenn man gehen darf – ungemein praktisch in Zeiten, wo jede freie Sekunde für den Blick aufs Smartphone genutzt wird. Außerdem erkennen Sensoren, wenn ein*e Fußgänger*in an der Ampel wartet, so dass diese auch ohne vorherigen Knopfdruck auf Grün schaltet. So kann sie aussehen, die nachhaltige kommunale Verkehrsentwicklung.