„In der Lausitz geht’s gerade richtig ab, aber noch nicht alle haben es mitbekommen.“ Im Hauptgebäude der BTU Cottbus-Senftenberg sitzen wir mit BTU-Präsidentin Prof. Dr. Gesine Grande zusammen, die uns zu Beginn unseres Tages einen idealen Einstieg in die Welt ihrer Universität bietet.
Gleich drei Tage meiner „2024 Zukunftstour Brandenburg: Auf dem Weg zu innovativen Unternehmen und Projekten“ haben wir für die Lausitz reserviert. Ich reise mit meiner Fraktionskollegin Isabell Hiekel, und einen ganzen Tag widmen wir der einzigen Universität in der Region. Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus – Senftenberg wurde 2013 gegründet und ist somit eine der jüngsten Universitäten in Deutschland. Mit 6.700 Studierenden ist sie nach der Uni Potsdam die zweitgrößte Universität Brandenburgs.
Ihr Vorgänger, die TU Cottbus, wurde 1991 ins Leben gerufen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Cottbus ein eher bescheidenes Hochschulsystem. Doch im wiedergegründeten Land Brandenburg war der politische Wille vorhanden, das zu ändern. Eine Hochschule für die Region sollte her. Zusammen mit der im Allgemeinen internationalen Ausrichtung der Wissenschaft hat die Uni heute ihren Schwerpunkt gefunden: Regionales Commitment mit globaler Perspektive.
Dies spiegelt sich in einer Fokussierung auf Themen des Strukturwandels ebenso wider wie in der Internationalität der Universität mit ihren aktuell 17 englischsprachigen Masterstudiengängen. Dass dieses Konzept aufgeht, zeigt sich nicht nur in einer steigenden Anzahl von Studienanfänger*innen, sondern auch an dem exponentiell gestiegenen Interesse von Wirtschaft und Wissenschaft, das an der BTU stets mitgedacht wird, so auch in den Plänen für den sogenannten Lausitz-Science-Park. In direkter Nachbarschaft zum Hauptcampus der BTU wird der Technologie- und Innovationspark entstehen und so Synergieeffekte zwischen Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft schaffen.
Die BTU präsentiert sich uns als sehr dynamische Universität. Aus dem bescheidenen Hochschulsystem der Wendezeit ist eine blühende Hochschullandschaft geworden. „Wir sind selber Expert*innen für Transformation in eigener Sache“, so die Hochschulpräsidentin. Eine ganze Reihe profilstärkender Projekte trägt dazu bei, von denen wir einige im Anschluss besuchen dürfen.
Los geht es beim EIZ. Das Energie-Innovationszentrum Cottbus arbeitet seit 2022 an Lösungen und Technologien für eine klimaneutrale Energieversorgung. 102 Mio. Euro Forschungsgelder fließen in das Projekt.
Besonders beeindruckt mich die soziale Akzeptanzforschung zum Ausbau von erneuerbaren Energien, die im Energy Economics Lab betrieben wird. Hier wird beispielsweise statistisch untersucht, ob und wie sich Windräder, PV-Anlagen und Biomassekraftwerke auf Haus- und Grundstückspreise auswirken (über Braunkohlegruben brauchen sie glücklicherweise nicht mehr zu forschen).
Mit Hilfe von VR-Animationen werden Auswirkungen von Energieinfrastrukturmaßnahmen direkt erlebbar gemacht. So werden bei Windrädern beispielsweise die Schlagschatten visualisiert und erforscht, wie sich Position, Höhe und Anzahl von Windrädern auf deren Akzeptanz auswirkt. Dieses Projekt soll künftig noch weiter ausgebaut werden und die VR-Brille durch eine fünfseitige sogenannte VR-Cave ergänzt werden. Damit stehen die Betrachtenden mitten in der Szenerie und können die virtuelle Darstellung noch detaillierter und realistischer wahrnehmen.
Als nächstes besuchen wir den „Startblock B2“. Das Gründungszentrum bietet Startups, Gründer*innen und jungen, innovativen Unternehmen alles, was es braucht, um Ideen voranzutreiben und sich zu vernetzen – von Veranstaltungs- und Büroräumen, über einen Coworking Space bis hin zu einem Makerspace. Hier finden regelmäßige Workshops statt. Kontakte werden geknüpft zu anderen Gründer*innen, zu Forschung und Fachkräften, aber auch zu möglichen Investor*innen.
Der Gründungsservice der BTU hat seinen Standort ebenfalls im B2. Er unterstützt Studierende, wissenschaftliches Personal und Alumni mit Beratung und Coaching bei der Entwicklung einer Idee, eines Mottos und eines Businessplans. Regelmäßig finden Wettbewerbe statt, bei denen Geschäftsideen medienwirksam präsentiert und Preise gewonnen werden können. Die Galerie der erfolgreichen Gründer*innen, die hier schon betreut wurden, ist beeindruckend.
Ein weiteres Highlight des „Startblock B2“ ist der Makerspace des Creative Open Lab. Ob Nähmaschine, 3D-Drucker, Lasergerät oder Fotostudio – es ist alles da, was man braucht, um kreativ zu werden. Besonders bemerkenswert: Jede*r kann den Makerspace nutzen. Zurzeit ist er noch vollumfänglich gefördert, später soll er sich selbst tragen. Lediglich die Materialkosten tragen die Nutzer*innen derzeit selber. Mehrere Werkstattleiter*innen arbeiten vor Ort, um beim Umgang mit den Maschinen zu unterstützen. Das Angebot wird von einer breiten Zielgruppe genutzt. Hier tüfteln Rentner*innen an der Seite von Schüler*innen, Student*innen und Gründer*innen. Was mich bei meinem Besuch im KreativWerkR6 in Hennigsdorf schon beeindruckt hatte, gibt es hier gleich ein paar Größenordnungen größer.
Zur Webseite vom Startblock B2
Unser letzter Programmpunkt des Tages ist ein Besuch am Rand von Cottbus bei der Chesco Forschungsfabrik, einem der derzeit wohl bedeutendsten Projekte der BTU. Die Forschungsfabrik des Center for Hybrid Electric Systems Cottbus, die Forschung, Fertigung und Tests hybrid-elektrischer und elektrischer Antriebssysteme für den Mobilitätssektor unter einem Dach vereint und sich derzeit vor allem mit der Luftfahrt beschäftigt, wurde am 24.05.2024 eröffnet.
Die Eröffnung hatte drei Jahre Vorlauf. Für Prof. Dr.-Ing. Georg Möhlenkamp und den Direktor des Rolls-Royce University Technology Centre (UTC) Prof. Dr.-Ing. Klaus Höschler, die gemeinsam die wissenschaftliche Leitung von Chesco innehaben, war schnell klar, dass eine vollständige Dekarbonisierung des Mobilitätssektors, wie sie für den Green Deal in 2050 erforderlich ist, nur erreichbar ist, wenn Erforschung und produktive Umsetzung neuer Technologien massiv beschleunigt werden. Um dies zu erreichen, kooperiert Chesco eng mit verschiedenen Partner*innen und Institutionen, so auch mit dem Institut für Elektrifizierte Luftfahrantriebe des DLR, das ich kürzlich besucht habe.
Die Optimierung von Technologien, aber auch von Produktionsprozessen darf nicht mehr mehrere Monate oder Jahre brauchen, um sie zu konstruieren, zu fertigen und zu testen, sondern dieser Optimierungszyklus muss innerhalb weniger Wochen möglich sein. Daher werden in der Chesco Forschungsfabrik sämtliche Produktionsschritte im Fertigungsprozess abbildbar sein. Natürlich funktioniert die Verkürzung der Optimierungszyklen auch nur, wenn alle Prozesse durchgehend digitalisiert sind, und so arbeitet Chesco nicht nur an den Antriebssystemen selbst, sondern auch an neuen digitalen Technologien.
65% aller geplanten Fertigungsprozesse laufen bereits. Und auch getestet werden kann schon. Ob Kälte, Hitze, Luftdruck, Vibration, Sand oder Staub – Luftfahrtkomponenten müssen extremen Umweltbedingungen standhalten. Es muss überprüft werden, wie sich elektrische Komponenten untereinander verhalten, und auch die Daten- und Cybersicherheit muss gewährleistet werden. An all diesen Dingen forscht Chesco.
Weil die Forschungsfabrik dafür langfristig zu klein sein wird, ist ein 52.000 m2 großer Neubau im Lausitz Science Park geplant. Und auch ein neuer Masterstudiengang zu Hybrid-Electric Propulsion Technology startet demnächst.
Doch hier bleibt leider ein Wermutstropfen. Denn obwohl die steigende Anzahl an Studienanfänger*innen an der BTU zeigt, dass der Strukturwandel den jungen Menschen wichtig ist, so sind es doch zu wenig deutsche Studierende, die ein Interesse an einem technischen Studium zeigen. Unter den 1.200 Bewerbenden für den neuen englischsprachigen Masterstudiengang war nicht eine deutsche und nur wenige aus dem EU-Ausland. Von den ausländischen Studierenden bleiben zu wenige nach ihrem Studium in Deutschland. Die Sprach- und Kulturbarrieren sind zu groß. Und leider ist der Umgang mit ausländischen Studierenden und Wissenschaftler*innen in unserer Gesellschaft nicht immer dazu angetan, dass die Menschen sich hier wohlfühlen und auch bleiben wollen. Deutschland braucht diese hochqualifizierten Menschen aber, um zukunftsfähig zu bleiben. Generell droht der Mangel an Arbeitskräften den Strukturwandel auszubremsen, wir müssen für ausländische Menschen attraktiver werden.
Damit auch regionale Unternehmen von Chescos Innovationen profitieren, gibt es ein eigenes Projekt, das genau dies sicherstellen soll. Das Projekt taf (Transfer agiler Fertigungsmethoden) fördert nicht nur den Transfer von Wissen an regionale KMU, sondern trägt auch zu einer besseren Vernetzung bei. Auch KMU können zudem ihre innovativen Produktionsmethoden direkt in der Forschungsfabrik testen.
„We make green mobility happen“ – unser Gespräch mit Professor Höschler und der Rundgang durch die Chesco Forschungsfabrik haben uns gezeigt, dass der Slogan hier zur Realität wird und die BTU mit Chesco ein sehr innovatives Projekt ins Leben gerufen hat. Was mich besonders beeindruckt hat: Hier geht es eben nicht „nur“ um das elektrische Fliegen, sondern auch darum, Innovationen zu beschleunigen.
Es tut sich tatsächlich viel in der Lausitz, das sollten langsam wirklich alle mitbekommen.