Große Familientreffen gehören naturgemäß zur Weihnachtszeit, und kein großes Familientreffen ohne Krisengespräche: Dieses Bild passt im Rückblick auf den Kongress der Europäischen Grünen Partei am zweiten Adventswochenende in Kopenhagen ganz gut. Schließlich begreifen wir uns als große europäische grüne Familie. Und so harmonisch und fröhlich unsere Zusammenkunft sich auch gestaltet hat, standen die diversen Krisen unserer Zeit selbstverständlich im Mittelpunkt der Diskussionen auf dem EGP Congress, bei dem ich dabei sein durfte.
Klimakrise, Energiekrise, geopolitische Krise: Mit einem Zauberwürfel hat Esther Lynch, Generalsekretärin des europäischen Gewerkschaftsbundes, die multiplen Krisen in Europa verglichen. Dreht man eine Seite, verdrehen sich auch die anderen Seiten des Würfels. Wenn wir aber überhaupt nicht drehen, bewegt sich gar nichts und wir finden keine Lösung! Esther plädierte dafür, alle Seiten des Zauberwürfels im Blick zu behalten, fest stehe: „We have to take action!“
Bleiben wir in diesem Bild, so haben wir mit dem European Green Deal begonnen, uns ernsthaft an die Lösung zumindest einer Seite des Würfels zu machen. Ein „Green New Deal“ war eine zentrale Forderung von uns Grünen im Wahlkampf zur Europawahl 2019. Es ist ein Erfolg, dass der Green Deal und damit das Ziel, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, zu den Prioritäten der Kommission von Ursula von der Leyen gehört.
Gleichwohl – und das war Inhalt einer unserer Diskussionen in Kopenhagen – fehlt diesem Green Deal etwas Entscheidendes: die soziale Komponente als Teil des Gesamtkonzeptes. Es ist zwar gut, dass die Kommission mit Instrumenten wie dem Just Transition Fund Regionen unterstützt, die besonders hart von den Umbrüchen auf dem Weg zur Klimaneutralität betroffen sind. In Brandenburg profitieren davon etwa die Lausitz und die Uckermark. Doch wir waren uns einig: Die ökologische Transformation kann nur mit sozialer Gerechtigkeit als integralem Bestandteil von Anfang an gelingen. Das macht einen echten und krisenfesten Green New Deal aus, und dafür werden wir Grünen uns mit Blick auf die Europawahl 2024 stark machen.
Ein sehr anschauliches Beispiel für die Lücken, die heute gefüllt werden müssen, brachte Benedek Jávor aus Ungarn mit. Er ist Vertreter der Stadt Budapest bei der EU und machte darauf aufmerksam, dass insbesondere in den östlichen Mitgliedstaaten viele Menschen in privatem Wohneigentum wohnen. Dieses befinde sich großteils in einem schlechten Zustand, und die Finanzmittel fehlen, um dort in Energieeffizienz zu investieren. Förderprogramme müssten das berücksichtigen. Überhaupt betreffe die Energiearmut in den östlichen Mitgliedsstaaten deutlich mehr Menschen als in Westeuropa, was zumindest teilweise auch die Politik dort erkläre. Benedek erinnerte an den Ursprung der EU als Energieunion – mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl – und forderte, dass wir auch heute die Energiepolitik wieder ins Zentrum europäischer Politik stellen.
Soziale Gerechtigkeit, Klimaneutralität, Energie: drei Seiten desselben „europäischen Zauberwürfels“, die gemeinsam bewegt werden müssen, um am Ende eine Lösung zu finden! We have to take action!
Zurück zum Familientreffen: Für mich persönlich war es besonders schön, in Kopenhagen viele unserer polnischen Freund*innen wieder wiederzutreffen und an Plänen für die weitere Zusammenarbeit zu schmieden. Mit der Vorsitzenden der dänischen Grünen, Pia Olsen Dyhr, habe ich mich wiederum über die Herausforderungen von Koalitionsverhandlungen unterhalten: Pia verhandelt gerade eine Art Ampel-Koalition für Dänemark, wo die Grünen unter anderem versuchen, eine CO2-Abgabe im Agrarbereich durchzusetzen – natürlich gegen den Widerstand der Koalitionspartner. Dass wir harte Koalitionsverhandlungen auch aus Brandenburg und natürlich von der Bundesebene kennen, war für Pia keine Neuigkeit: „Ich weiß genau was Du meinst, ich telefoniere ja auch oft mit Robert!“
Pia war auch selbst schon mal Ministerin – und wird wohl auch demnächst wieder in Regierungsverantwortung stehen. Damit reiht sie sich ein in eine beeindruckende Riege von Minister*innen und Regierungschef*innen, die in ganz Europa grüne Politik machen – wie Katrín Jakobsdóttir, grüne Premierministerin von Island, und Dritan Abazoviç, grüner Premierminister aus Montenegro. Sie berichteten ebenso wie Regierungsvertreter*innen u. a. aus Finnland, Österreich und Irland über ihre Erfahrungen in Verantwortung – und machten Hoffnung, dass wir gemeinsam viel erreichen können für ein sozial gerechteres, grüneres Europa.