Energiekrise, Energiewende: Europaweit sozial gerecht und solidarisch gestalten!

Zweiter Europadialog in Potsdam: Moderatorin Dr. Mechthild Baumann, Heiner Klemp, Robert Gampfer von der Europäischen Kommission und Europaparlamentarier Helmut Scholz (aus Brüssel zugeschaltet).
Zweiter Europadialog in Potsdam: Moderatorin Dr. Mechthild Baumann, Heiner Klemp, Robert Gampfer von der Europäischen Kommission und Europaparlamentarier Helmut Scholz (aus Brüssel zugeschaltet).

Die Energiekrise ist nicht nur ein deutsches Problem: Menschen in ganz Europa zahlen seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine für eine verfehlte Politik, die uns in Sachen Energie abhängig gemacht hat von der Willkür des russischen Präsidenten. Was unternimmt die Europäische Union, um diese Belastungen aufzufangen und die Energiekrise möglichst sozial verträglich zu gestalten? Diese Frage stand im Mittelpunkt des II. Potsdamer Europadialogs, zu dem das Europa-Zentrum Potsdam ins Kulturhaus Babelsberg in Potsdam eingeladen hatte.

Als Vertreter aus dem Landtag durfte ich darüber mit dem Europaparlamentarier Helmut Scholz von den Linken und Robert Gampfer als Vertreter der Europäischen Kommission diskutieren. Dabei ging es natürlich nicht nur um die aktuellen Krisen-Notmaßnahmen, sondern auch um die langfristige Transformation hin zu einer klimaneutralen EU – erklärtes Ziel der Kommission bis zum Jahr 2050.

Dieses Ziel sieht Robert Gampfer trotz Krise nicht in Gefahr, sondern die EU auf dem richtigen Weg. Zentral dabei: zum einen das europäische Klimagesetz, mit dem das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 EU-weit Gesetzeskraft entfaltet, zum anderen der Emissionshandel als das Haupt-Steuerungsinstrument. Es ist eine einfache Rechnung: Von Jahr zu Jahr gibt es weniger Zertifikate für den Ausstoß von CO2, der Preis für diese schwankt, wird aber tendenziell immer höher und setzt damit den Anreiz für Investitionen in Erneuerbare Energien. Noch ist der Emissionshandel beschränkt auf die Sektoren Industrie und Energie, doch er wird erweitert werden auf die Bereiche Verkehr und Gebäudewirtschaft. „Entstehende Mehrkosten werden natürlich an die Endverbraucher weitergegeben“, sagt Gampfer, und genau hier sei die EU gefragt, dies abzufedern.

Wie kann das klappen? Mit dem Klimasozialfonds, Element des Pakets „fit for 55“, mit dem die EU ihre Klimaziele in Rechtsvorschriften umsetzen will. Mit diesem Fonds sollen Preissteigerungen für die Bürger*innen kompensiert und diese so überhaupt erst in die Lage versetzt werden, ihr Verhalten wirklich nachhaltig zu ändern, um eine dauerhafte Verringerung des CO2-Ausstoßes zu erreichen. Auch Helmut Scholz hob die Bedeutung von „fit for 55“ hervor, da damit für alle EU-Staaten rechtlich bindende Maßnahmen festgelegt werden, um in einem ersten Schritt 55 Prozent weniger Emissionen bis zum Jahr 2030 auszustoßen.

Mehr Informationen zu „fit for 55“ auf der Website des Europäischen Rates

Entscheidend dafür ist der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern Kohle, Öl und Gas, und zwar europaweit. Hier zeigt der russische Angriffskrieg und damit der Wegfall russischer Gas- und Öllieferungen ganz unterschiedliche Effekte: von einem kurzfristigen „Revival“ der klimaschädlichen Braunkohle bis zu einem massiven Schub für den Ausbau Erneuerbarer Energien. Die EU wiederum versucht mit dem Programm „RePowerEU“ verschiedene Steuerungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen, um die Energieabhängigkeit von Russland zu beenden. „Wir müssen das so aufstellen, dass das Vertrauen in die EU nicht zerstört wird“, mahnt Helmut Scholz, der auf die gewaltigen Unterschiede bei den Be- und Entlastungen in den Mitgliedsstaaten verweist.

Mehr Informationen zu RePowerEU auf der Website der Europäischen Kommission

Denn natürlich verschärft die durch den Krieg herbeigeführte Energiekrise auch die Frage der sozialen Verträglichkeit der Transformation, die wir Grüne auf europäischer Ebene schon lange im Fokus und zuletzt in Kopenhagen ausführlich diskutiert haben. Dass wir insgesamt ein viel, viel größeres Gewicht auf die sozialpolitische Komponente der Energiepolitik legen müssen, habe ich auch beim Europadialog wieder betont. Wir waren uns einig, dass Strom- und Gaspreisbremse ebenso wie sozialpolitische Maßnahmen europaweit differenzierter ausgestaltet werden müssen, um die wirklich Bedürftigen zu unterstützen statt „mit der Gießkanne“ zu entlasten.

Darüber hinaus habe ich betont, dass wir auch eine Neuordnung der Energiemärkte brauchen: Die mit Erneuerbaren erzeugte Kilowattstunde Strom ist schon heute deutlich günstiger als mit fossilen Energieträgern erzeugter Strom. Das muss auf den Preis für die Verbraucher durchschlagen! Hier setzt auch die grüne Idee des Energiegelds an, die Einnahmen aus der Bepreisung von CO2-Ausstoß an diejenigen zurückzugeben, die wenig fossile Energien verbrauchen. Denn grundsätzlich gilt, dass Leute mit höherem Einkommen auch einen größeren CO2-Fußabdruck haben.

Gleichzeitig brauchen wir einen noch schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien in ganz Europa, gerade auch in den Regionen, die bislang von fossilen Energieträgern abhängig sind. Das betrifft uns in Brandenburg besonders: Schon Anfang der 2030er Jahre wird sich der Abbau von Braunkohle in der Lausitz nicht mehr lohnen, es ist gut, dass wir auf Landesebene hier massiv in die Transformation investieren.

Mehr zum Thema Strukturwandel in der Lausitz auf der Website der bündnisgrünen Landtagsfraktion

Auch wenn uns die Krise vor ungeahnte Herausforderungen stellt: Die Energiewende sozial gerecht gestalten, ist möglich! Und die EU leistet bereits einen großen Beitrag dazu. Darüber hinaus steht für mich fest, und auch das habe ich beim Europadialog betont, da es allzu schnell aus dem Blick gerät: Durch den russischen Angriffskrieg ist Europa trotz vieler Differenzen zusammengewachsen! Solidarität über nationalstaatliche Grenzen hinaus zeigte sich etwa, als über Polen Öllieferungen nach Schwedt geleitet wurden – und raffinierte Endprodukte von dort wiederum nach Polen.

Die Raffinerie in Schwedt ist überhaupt ein gutes Beispiel dafür, wie der Krieg Entwicklungen beschleunigt: Schon lange ist angestrebt, den Standort umzubauen, um die Abhängigkeit ausschließlich vom fossilen Energieträger Öl zu durchbrechen. Die Herstellung synthetischer Flugzeugtreibstoffe und von Wasserstoff sind zum Beispiel Optionen für den Standort. Die bislang hundertprozentige Abhängigkeit von russischem Öl, das von einem Tag auf den anderen nicht mehr verfügbar war, beschleunigt diese Transformation nun enorm. Hohe Risiken begleiten diesen Prozess, aber ich bin überzeugt, dass die Entwicklung in die richtige Richtung verläuft!