Bombensuche wissenschaftlich begleiten

Nicole Walther-Mundt, Heiner Klemp, Prof. Dr. Spyra, Björn Lüttmann
Nicole Walther-Mundt, Heiner Klemp, Prof. Dr. Spyra, Björn Lüttmann

Landesregierung soll Professur prüfen und Spyra-Gutachten fortschreiben

Oranienburg. Die Fraktionen der rot-schwarz-grünen Koalition in Brandenburg haben in einem Antrag an den Landtag die Weichen für einen verbesserten Umgang mit der Bombenlast in Oranienburg gestellt: So soll u.a. das sog. Spyra-Gutachten aus dem Jahr 2008 über Kampfmittelbelastung und –räumung in Oranienburg einer systematischen Erfolgskontrolle unterzogen werden und auf neue Erkenntnisse und Erfahrungen fortgeschrieben werden. Außerdem wird die Landesregierung aufgefordert zu prüfen, ob an der Hochschule der Polizei in Oranienburg oder der BTU Cottbus-Senftenberg eine Professur für Kampfmittelbeseitigung eingerichtet werden kann.

Dazu sagt der Oranienburger Landtagsabgeordnete Heiner Klemp (Bündnis 90/Die Grünen):
„Als Oranienburger Vertreter im Innenausschuss freue ich mich, dass die Koalitionsfraktionen meiner Anregung gefolgt sind, diese Punkte in den Antrag aufzunehmen. Seit Herr Prof. Dr. Spyra vor gut zehn Jahren in den Ruhestand gegangen ist, gibt es keine wissenschaftliche Expertise mehr zu dem Thema, weder in Brandenburg noch im Rest von Deutschland.

Es braucht aber eine wissenschaftliche Begleitung der Kampfmittelsuche, um neue Ansätze bis hin beispielsweise zum Einsatz künstlicher Intelligenz bei der systematischen Suche nach Bomben zu erproben und einzusetzen. Auch können IT-gestützte, modellbasierte Verfahren möglicherweise dazu genutzt werden, Evakuierungsräume genauer zu bestimmen und so weniger Oranienburgerinnen und Oranienburger bei Bombenentschärfungen evakuieren zu müssen.

Es ist gut, dass neben der ehemaligen Wirkungsstätte von Prof. Dr. Spyra, der BTU Cottbus-Senftenberg, dafür auch die Hochschule der Polizei in Oranienburg in Betracht gezogen wird. Das ist nicht nur wegen der Kampfmittelbelastung im Stadtgebiet folgerichtig, schließlich gehören die Feuerwerker des Kampfmittelräumdienstes KMBD in Brandenburg zur Polizei und eine entsprechende Professur würde die wissenschaftliche Reputation unserer Polizei-Hochschule weiter stärken.“

Abtransport einer Bombe nach der Entschärfung

Der Oranienburger Landtagsabgeordnete Björn Lüttmann (SPD) ergänzt:
„Das Spyra-Gutachten markierte einen Wendepunkt für die Kampfmittelsuche in Oranienburg und war auch zentrale Grundlage für die Schaffung der „Modellregion Oranienburg“. Nach 15 Jahren ist es nun an der Zeit für eine Bestandsaufnahme und gegebenenfalls für Anpassungen an neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Handlungsempfehlungen des Sprengstoffexperten Prof. Dr. Spyra sind sicherlich grundsätzlich weiter gültig, aber eben auf dem Wissens- und Forschungsstand des Jahres 2008. Oranienburg muss jedoch mit einer bundesweit einzigartigen Kampfmittelbelastung umgehen, weshalb wir alle Möglichkeiten ausschöpfen sollten, die die Kampfmittelsuche noch effektiver machen. Dazu gehört auch eine Erfolgskontrolle der theoretischen Grundlage, da diese Auswirkungen auf die praktische Bombensuche durch KMBD und private Räumfirmen hat.

Oranienburg bildet den Schwerpunkt der Kampfmittelsuche im Land. Doch auch in Potsdam oder vielen Waldflächen ist die Kampfmittelbelastung hoch. Aktuell zeigte sich in Jüterbog erneut, wie schwer Waldbrände unter Kontrolle zu bringen sind, wenn das Gebiet munitionsbelastet ist. Eine stärkere wissenschaftliche Begleitung zum Thema Munitionsbergung oder zum Umgang mit Sprengstoffen ist daher sinnvoll, um vorhandene Kompetenzen auszubauen und um Einsatzkräfte des Brand- und Katastrophenschutzes noch besser zu schützen.“

Hintergrund:

Die Anhörung von Experten zum Thema Kampfmittelbeseitigung im Innenausschuss des Landtags am 26.04.2023 ergab verschiedene Ansätze zur Weiterentwicklung der Bombensuche und –räumung im Land Brandenburg. Die Koalitionsfraktionen haben auf Basis dieser Anhörung heute einen Antrag in den Landtag eingebracht, der diese Erkenntnisse einerseits in Bezug auf Waldbrände wie derzeit bei Jüterbog, aber andererseits auch die Kampfmittelproblematik in Oranienburg aufgreift. In der Anhörung hatte Prof. Dr. Spyra angeregt, sein Gutachten aus dem Jahr 2008 fortzuschreiben und für das Themengebiet eine neue Professur einzurichten.

Prof. Wolfgang Spyra hatte von 1994 an den Lehrstuhl Altlasten an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus inne. Seit gut zehn Jahren ist er im Ruhestand, das Thema Kampfmittel wird seitdem in Brandenburg wissenschaftlich nicht mehr bearbeitet. Vergleichbare wissenschaftliche Einrichtungen gibt es im gesamten Bundesgebiet nicht. Heute besteht an der BTU der Masterstudiengang Forensic Sciences and Engineering, der sich u. a. mit Sprengstoff beschäftigt. Hier wäre eine Kooperation mit dem an der HPol in Oranienburg einzurichtenden Lehrstuhl für Kampfmittelbeseitigung denkbar, sagte Spyra im Innenausschuss.

„Mittel- und langfristige Konzeption der Kampfmittelräumung in Oranienburg – Begutachtung zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unter Berücksichtigung der Aspekte Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit“ lautet der Titel des Gutachtens, das Prof. Spyra an der BTU Cottbus im Jahr 2008 im Auftrag des Brandenburgischen Innenministeriums erstellt hat. Es ist die Basis für die systematische Suche nach Kampfmitteln in der Stadt.

Oranienburg ist die mit Abstand am stärksten von Weltkriegsbomben belastete Stadt im Land Brandenburg, das folgerichtig rund die Hälfte seiner finanziellen Mittel für die Kampfmittelbeseitigung hier einsetzt. Die Konzentration von mit chemischen Langzeitzündern ausgestatteten Blindgängern im Boden und die damit verbundene Gefährdung Oranienburgs ist laut KMBD einmalig in Deutschland.

Zur Parlamentsdokumentation auf der Webseite des Brandenburgischen Landtages