Das war ja klar, dass ich bei meiner „2024 Zukunftstour“ auch mal da hin gehen würde, wo der Pfeffer wächst. Nämlich in den Waldgarten Kyritz. Schließlich hatte ich das Projekt schon einmal besucht. Auf den Tag genau vor drei Jahren hatte ich einen ehemaligen Acker besichtigen können, der sich nach nur einem Jahr Projektarbeit noch arg karg und sandig präsentierte. Mittlerweile ist aus dem Waldgarten eine grüne Oase geworden, er hat sich seinem vielversprechenden Namen immer mehr angeglichen. Aus den frischen Schösslingen von damals sind immer noch junge, aber schon mannshohe Bäume geworden, und auf fünfeinhalb Hektar ist eine erstaunliche Artenvielfalt entstanden. Hier wachsen klassische Nutzpflanzen und klimawandelresistente Bäume, Erdbeeren und Melonen, und eben auch vier verschiedene Pfeffersorten.
Es ist ein erstaunlicher Wandel, der im Osten der Stadt Kyritz zu bestaunen ist. Exemplarisch wird hier jahrzehntelang von Monokulturen geplagtes Ackerland in eine ökologisch wertvolle, nachhaltige und trotzdem ertragreiche Nutzfläche verwandelt. Die mag für einen landwirtschaftlichen Laien wie mich zwar aussehen wie ein angehender Urwald, aber Bianca Otter versicherte mir, dass fast jede Pflanze hier ihren Zweck und ihre Aufgabe im Waldgartensystem erfüllt.
Otter ist Projektleiterin Bildung für Nachhaltige Entwicklung bei STATTWerke e.V., dem Trägerverein des Waldgartens. Immer wieder bückte sie sich, als sie mich über das Gelände führte, und pflückte eine Blüte hier, ein paar Blätter dort, erklärte die Pflanzen und ließ mich kosten. Was sonst Unkraut genannt wird, heißt hier „Beikraut“.
Das Ziel des Waldgartens ist es, sich demnächst selbst zu tragen. 2025 läuft nach fünf Jahren die Förderung des Projektes in Kyritz aus, dann, das haben STATTWerke ausgerechnet, werden Pacht und die beiden Gartenhelfer aus den Einnahmen der produzierten Lebensmittel bestritten werden können. Die Vermarktung läuft bereits gut, die Produkte werden in einem Stand neben dem Gelände oder direkt an Restaurants aus der Region verkauft.
Vor drei Jahren hätte ich mir noch nicht vorstellen können, dass der Waldgarten Kyritz einmal nicht mehr auf Fördergelder angewiesen sein könnte. Dass es nun zum Greifen nah, ist eine bemerkenswerte Leistung. Was aber fast noch wichtiger ist: Das Gelände, das für den Stadtgarten von der Stadt für mindestens 25 Jahre gepachtet wurde, soll nicht nur Menschen mit leckerem Obst, Kräuter und Gemüse versorgen, sondern zusätzlich eine ökologische und eine gesellschaftliche Funktion erfüllen. Es ist nicht nur landwirtschaftliche Fläche, sondern auch Erholungs- und Bildungsraum.
Steht der Waldgarten doch während der Arbeitszeit Besuchern offen, die jederzeit über das Gelände spazieren können. Außerdem kooperieren StattWerke mit Schulen aus der Region, organisieren Projektwochen und haben Klassen zu Besuch. Kinder lernen im Waldgarten, wo das Essen her kommt. Aber auch, wie dramatisch das Artensterben ist. Bianca Otter hat in einem hinteren Teil des Geländes extra einen „Insekten-Friedhof“ errichtet, eine Schotterfläche mit Holzkreuzen, auf denen ausgestorbene Insektenarten verewigt sind. Viele Kinder sind erschüttert, wenn ihnen zum ersten Mal klar wird, wie der Mensch die Lebensgrundlagen anderer Arten vernichtet, erzählt Bianca Otter.
Damit sind wir schon bei der nächsten wichtigen Funktion des Waldgartens. Denn der ist auch ein Labor für die Landwirtschaft der Zukunft. Das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Pflanzen garantiert auf Dauer bessere Erträge und verbessert die Bodenqualität. Erdbeeren wachsen neben Obstbäumen, die einen geben Schatten, im Gegenzug sorgen die anderen für Humus. Schon jetzt, nach nur vier Jahren, sagt Otter, habe man festgestellt, dass der Boden viel mehr Feuchtigkeit speichern kann, die berühmte märkische Streusandbüchse verwandelt sich, wenn man sie nachhaltig und divers bewirtschaftet, langsam aber sicher in wertvollen Acker. Sogar das Mikroklima hat sich in den letzten vier Jahren zum positiven verändert. Ganz zu schweigen von der „Insekten-Explosion“, wie Otter sie nennt. Tatsächlich: Überall summt und brummt es, zischelt und schwirrt es, während wir durch den Garten laufen. In Monokulturen, die nur mit dem Einsatz von Pflanzengiften funktionieren, ist solch ein Leben nicht zu beobachten.
In einem speziellen Teil des Geländes, dem „Klima-Waldarten“, werden Pflanzen wie Maulbeerbäume, Mandeln, Feigen, Datteln oder der Chinesische Gemüsebaum kultiviert, die auf deutschen Äckern noch exotisch, aber womöglich besser geeignet sind, mit dem Klimawandel klar zu kommen. Immer wieder stoßen wir auf die Ölweide, einen mediterranen Baum, an dem eine wohlschmeckende Frucht wächst, aus der man leckere Marmeladen oder Mus herstellen kann. Im Gegensatz zu großflächigen Monokulturen könne man mit einem Waldgarten auch aus einer überschaubaren Fläche, so Bianca Otter, das optimale herausholen.
Da stellt sich die große Frage, wie die Erkenntnisse, die StattWerke im Waldgarten Kyritz und an seinen weiteren Standorten in Neuruppin, Fürstenwalde/Spree, Havelberg und Eberswalde gewonnen hat, zugänglich gemacht werden können. Denn schließlich stellt der Klimawandel gerade die Landwirtschaft in Brandenburg mit seinen geringen Niederschlägen vor große Herausforderungen. Aber da ist noch viel Überzeugungsarbeit auf der – im wahrsten Sinne des Worts – Graswurzelebene nötig.
Deshalb hat STATTWerke die Idee einer Datenbank entwickelt, in der die Erfahrungen aus den Waldgärten abgerufen werden können. Landwirte könnten sich informieren, welche Pflanzen bei welchen Bedingungen welchen Erfolg versprechen. Aber leider ist der Förderantrag erst einmal abgelehnt worden. Das finde ich sehr schade: Denn während es reichlich Schulungen und Beratungen für Landwirte gibt, wie sie am besten Gift einsetzen, ist es gar nicht so einfach, an das Know-How zu kommen, wie man nachhaltige Landwirtschaft betreiben kann.
Was ich schließlich auch noch mitnehme in meine politische Arbeit im Land Brandenburg, aber auch auf europäischer Ebene: Die Förderrichtlinien sind leider nicht darauf ausgerichtet, solch ein komplexes, vielschichtiges Projekt wie einen Waldgarten zu unterstützen. Umso erstaunlicher, dass der Waldgarten in Kyritz schon so weit gekommen ist und sich perspektivisch ohne Subventionen tragen wird – im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft.